Prim. Univ.-Prof. Dr. Eugen Trinka, der Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) zum gemeinsamen Ziel, die Krise so schnell wie möglich zu meistern: Ein Statement zur Entscheidungskompetenz, mediacl leadership und neuen Formen der Zusammenarbeit.
Wir alle erleben die schwierigste Krise in unserem Gesundheitssystem, oder besser gesagt in der Krankenversorgung der Menschen Österreichs. Ohne Zweifel bringt uns die COVID-Pandemie an die Grenzen unserer Leistungsfähigkeit oder sogar darüber hinaus. Vielen von den leitenden Neurologinnen und Neurologen sind in Krisenstäben der Krankenanstalten oder der Länder eingebunden und tun alles Erdenkliche, um Ressourcen für die COVID-Patientinnen und Patienten zu schaffen, damit diese entsprechend versorgt werden können, ohne dabei die Grundversorgung akut neurologisch Erkrankter zu gefährden.
Medical leadership
Obwohl die Bundesregierung und die Gesundheitsbehörden Österreich alles in ihrer Macht Stehende getan haben, was nötig war und nötig ist, um frühzeitig die Ausbreitung einzudämmen, haben wir gesehen, wie schwierig es auf der anderen Seite ist, diese Maßnahmen auch flächendeckend rasch und ausnahmslos durchzusetzen. Wir haben auch gesehen, dass viele Krankenhäuser und Gesundheitseinrichtungen nicht wirklich gut auf solche Ereignisse vorbereitet sind. Schutzmasken, Schutzanzüge und entsprechende Ausstattung sind Mangelware und die Lagerbestände werden rasch aufgebraucht sein. Entsprechende Isolierräume und Prozesse im Umgang mit infektiösen Patientinnen und Patienten sind nicht gut eintrainiert und in vielen Krankenhäusern gibt es keine strukturellen Voraussetzungen um diese zu etablieren. Die Kapazitäten von Intensivbetten, die in Österreich zu Verfügung stehen, sind in Anbetracht der Covid19-Krise äußerst limitiert und je nach Szenario auch nicht ausreichend. Fieberhaft werden in den Krisenstäben die Anzahl der Beatmungsgeräte gezählt, Notstationen mit Beatmungsmöglichkeit errichtet und das Personal dafür in kürzester Zeit trainiert und zur Verfügung gestellt. Ganze Krankenhäuser wie z.B. in Wien oder große Bereich von Krankenanstalten werden zu COVID-Zentren umgebaut. In kürzester Zeit werden Stationen verlagert um für COVID-Patienten und Patientinnen Raum zu schaffen und diese auch in entsprechend abgeschlossenen Einrichtungen fachgerecht zu versorgen. In vielen Abteilungen werden über Nacht sogenannte Split-Teams eingeführt, um durch einen COVID-Ausfall einer Dienstmannschaft ein weiteres Team zur Aufrechterhaltung des Betriebs zur Verfügung zu haben. Jedes Krankenhaus und jedes Bundesland bereitet sich mit maximaler Anstrengung auf den Gipfel der Krise vor, der mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten Wochen auf uns eintreffen wird. In diesen Zeiten gib es plötzlich keine Argumentation mehr, um etwas nicht zu machen – kein „zu teuer“ – kein „geht nicht“ – kein „das brauchen wir nicht“. Die medizinische Notwendigkeit gibt vor, Pflege und Medizintechnische Berufe sind an vorderster Front, alle anderen wie Bau und Technik, Informationstechnologie, Einkauf, Personal, Recht, Datenschutz und sogar die Finanzen folgen den medizinischen Vorgaben und Notwendigkeit.
Es wird klar, was der eigentliche Zweck eines Krankenhauses ist, und es ist nichts mehr daran zu rütteln, dass alle Bereiche sich im Krankenhaus und im Gesundheitswesen überhaupt dieser medical leadership unterwerfen und den Vorgaben folgen. Die Notwendigkeit der medical leadership zeigt sich in den Zeiten der Krise.
Krise bedeutet Entscheidung
Krise kommt aus dem Griechischen und bedeutet Entscheidung. Die Entscheidung was im Gesundheitswesen zu tun ist, kann nur aus der Notwendigkeit der besten Patientenversorgung heraus, also der medizinischen und pflegerischen Entscheidung kommen. Die Entscheidungen die wir in Zukunft treffen, können nur derart sein, dass wir nicht alles und jede Maßnahme unter dem Blickwinkel der direkten Kosten, der kurzfristigen „Gewinne“ durch Einsparungen und der Vermeidung von sogenannten Folgekosten im System zu beurteilen haben.
Jede Maßnahme, jede medizinische Entwicklung muss vor allem aus der Sicht der Nachhaltigkeit und des Wertes beurteilt werden. – Des Wertes der Gesundheit der Bürgerinnen und Bürger Österreichs und der Nachhaltigkeit in unserer Gesundheit und in unserer Gesellschaft, Wert zu schaffen. Beides ist nicht einfach zu bewerten, aber eines ist klar, wenn wir nicht in dieser Dimension denken und weiterhin versuchen Krankenhausbetten, vor allem Intensivbetten abzubauen, anstatt ausreichende Ressourcenplanung für die zukünftige demographische Entwicklung zu betreiben, werden wir die nächste Krise nicht ohne Schaden überstehen.
Das muss nicht notwendigerweise ein weiteres Coronavirus sein. Eine Grippeepidemie, wie wir sie auch schon öfter erlebt haben, zusätzlich zu der demographischen Entwicklung mit einem massiven Anstieg der Bevölkerung über dem 65. Lebensjahr wird uns die Grenzen aufzeigen, wenn wir nicht vorausplanen.
Zusammenhalt als Chance
Wir haben aber auch viel über uns selbst und über unsere Gesellschaft gelernt. In der Krise zeigt sich der Charakter. Die Menschen aller Berufsgruppen halten zusammen, jeder ist kompromissbereit und fokussiert auf das Ziel, auf das große Ganze, die Herausforderung gemeinsam zu bewältigen. Nicht nur in den Krankenhäusern, sondern auch in der Zivilgesellschaft sieht man viele, die anderen Hilfsbedürftigen zur Seite stehen. Gastronomiebetriebe, die Essen anbieten und dies zur Abholung bereitstellen. Apotheken, die bereitwillig Medikamente an hilfsbedürftige ausliefern. Auch die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen tun alles, damit die Bevölkerung weiterhin versorgt wird. Ja, in der Krise zeigt sich eben wirklich der Charakter.
An dieser Stelle möchte ich allen Kolleginnen und Kollegen der Neurologischen Gemeinschaft danken, dass sie mit allen anderen zusammenarbeiten und alles tun, damit wir unser gemeinsames Ziel, die COVID-Krise gut zu bewältigen, erreichen können.
Prim. Univ.-Prof. Mag. Dr. Eugen Trinka, FRCP
Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN)