Konsequenter Einsatz modernster Diagnose und Therapie: Schlaganfall-Versorgung in Österreich wird immer besser – Schwerpunkt Vorbeugung und Früherkennung – Wien wird 2020 Welthauptstadt der Schlaganfall-Forschung
„Schlaganfall ist die zweithäufigste Todesursache und die Hauptursache für Behinderungen. In Österreich ereignen sich jedes Jahr 24.000 Schlaganfälle, jeder sechste Betroffene stirbt. Gut die Hälfte der Überlebenden kann nach einer adäquaten Therapie und Rehabilitation wieder ein normales Leben führen. Allerdings bleiben 15 Prozent ein Leben lang mehr oder weniger stark beeinträchtigt, ebenso viele werden zum Pflegefall“, berichtet Prim. Univ.-Prof. Mag. Dr. Eugen Trinka (Uniklinikum Salzburg), Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie (ÖGN) auf einer Pressekonferenz zum Welt-Schlaganfalltag (29.10.). „Der Anteil schwerer und schwerster Schlaganfälle nimmt jedoch in allen Altersgruppen kontinuierlich ab.“
Durch Schlaganfälle entstehen in Österreich pro Jahr 1,1 Milliarden Euro an Kosten. Rund die Hälfte davon sind Behandlungskosten. Die andere Hälfte entsteht durch Arbeitsunfähigkeit, Invalidität und Pflege. Prof. Trinka: „Optimale Schlaganfallversorgung kann diese Folgekosten deutlich reduzieren.“
Besonders hohen Stellenwert hat hier die Prävention. Der jüngste Europäische Aktionsplan Schlagfall bis 2030 definiert ambitionierte Ziele: Die Gesamtanzahl der Schlaganfälle in Europa soll um zehn Prozent gesenkt werden. Dafür sind gezielte Präventionsmaßnahmen notwendig.
Vier einfache Maßnahme, um einen Großteil der Schlaganfälle zu verhindern
„Etwa 90 Prozent aller Schlaganfälle stehen im Zusammenhang mit vermeidbaren, lebensstilbezogenen Risikofaktoren“, sagt Univ.-Prof. Dr. Stefan Kiechl (Medizinische Universität Innsbruck), Präsident der Österreichischen Schlaganfallgesellschaft. „Vier einfache Maßnahmen würden ausreichen, um einen Großteil der Schlaganfälle zu verhindern: Nikotinkarenz, kein oder wenig Alkohol, fünf Mal pro Woche zumindest 30 Minuten Bewegung und gesunde Ernährung, und damit Vermeidung von Übergewicht.“
Die eigenen Risikofaktoren kennen und ggf. gegensteuern
„Die Menschen müssen ihre persönlichen Risikofaktoren kennen, damit sie gegensteuern können“, nennt Prof. Kiechl einen zweiten wichtigen Punkt in Sachen Prävention. Ist der Blutdruck in Ordnung? Wie schauen die Cholesterin- oder Blutzuckerwerte aus? Hat jemand Diabetes und weiß es nicht? Weil die kostenlosen Vorsorgeuntersuchungen nicht von allen genutzt werden, bleiben häufig leicht beherrschbare Risikofaktoren lange unentdeckt und unbehandelt. „Regelmäßiges Blutdruckmessen – und bei Bedarf Blutdruckregulieren – zum Beispiel ist eine einfache Präventionsmaßnahme, die jeder selbst durchführen kann“, sagt Prof. Kiechl. „Oder: Einfache Apps, die den Puls messen, könnten Hinweise liefen, ob ein Vorhofflimmern vorliegt. Menschen, die darunter leiden, haben ein bis zu 5-fach erhöhtes Schlaganfallrisiko und sollten gerinnungshemmende Medikamente nehmen.“
Politik muss gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen schaffen
„Die Politik muss gesundheitsförderliche Rahmenbedingungen schaffen und vermeidbare Risikofaktoren eindämmen“, sagt Prof. Kiechl. Zehn bis 15 Prozent aller Schlaganfälle seien auf Luftverschmutzung durch Hausbrand oder Verkehr zurückzuführen. „Kluge Energie- und Mobilitätspolitik tut also auch der kardiovaskulären Gesundheit gut. Wichtig wäre eine Steuerpolitik, die gesunde Lebensmittel verbilligt und weniger gesunde verteuert.“ Gut belegt sei etwa, dass das übermäßige Trinken von stark zuckerhaltigen Getränken das Schlaganfallrisiko erhöht.“
Hoher Stellenwert der Sekundärprävention
Auch die Sekundärprävention hat einen hohen Stellenwert: In Österreich ist jeder fünfte Schlaganfall ein wiederholter Schlaganfall. Prof. Kiechl: „Würde man die Patienten richtlinienkonform nach einem Schlaganfall behandeln, könnten 90 Prozent dieser Rezidive verhindert werden.“ Eine strukturierte Nachbetreuung von Schlaganfallpatienten sei in Österreich noch nicht flächendeckend umgesetzt.
Optimale Schlaganfallversorgung: Stroke Units und Thrombektomie-Zentren
„Voraussetzung für eine optimale Schlaganfallversorgung ist ein flächendeckendes Netz von ‚Stroke Units‘“, führt ÖGN-Präsident Prof. Trinka aus. „Ebenfalls notwendig sind Schlaganfallzentren, die rund um die Uhr Thrombektomien durchführen können, also mechanische Entfernungen von Blutgerinnseln aus Gehirngefäßen per Endoskop. 5 bis 10 Prozent der Schlaganfälle sind so schwer, dass diese Therapie erforderlich ist. In Österreich ist das 1.200 bis 2.400 Mal pro Jahr.“
Behandlungspfade – Wie auch Laien per FAST-Test einen Schlaganfall erkennen können
Um rasche Hilfe zu ermöglichen, sollten auch Laien einen Schlaganfall erkennen können. Dabei hilft der FAST-Test (Face-Arms-Speech-Time). Kann die betroffene Person nach Aufforderung nicht lächeln, beide Arme gleichzeitig heben oder einen einfachen Satz nachsprechen, deutet das auf einen Schlaganfall hin. Weitere Symptome sind akuter Schwindel oder plötzliches Erblinden auf einem Auge. Bei Verdacht auf Schlaganfall sollte man sofort die Rettung (144) verständigen.
In der Stroke Unit muss dann rasch entschieden werden, ob der Patient mit einer Thrombolyse (Gerinnsel-Auflösung) alleine oder mit einer Bridging-Lyse mit späterer Thrombektomie behandelt werden muss. Wird die Notfallambulanz von Neurologen geführt, ist der Patient sofort am richtigen Behandlungspfad, ansonsten müssen die Neurologen und das CT-Team alarmiert werden. Prof. Trinka: „Alle an der Akutbehandlung Beteiligten müssen einem strikten Handlungsprotokoll folgen. In der Steiermark, in Tirol, Oberösterreich und seit Kurzem auch in Niederösterreich wurden bereits qualitativ gute ‚Behandlungspfade‘ implementiert.“
Wesentlich für die Schlaganfallversorgung ist auch, dass die Rehabilitation sehr früh einsetzt. Prof. Trinka: „In nächster Zeit wird der Rehabilitationsplan überarbeitet, damit der Bedarf an neurologischer Rehabilitation klar dargestellt werden kann.“
Qualitätssicherung der Schlaganfallversorgung in Österreich
Die Qualiltät der Schlaganfallversorgung in Österreich wird durch mehrere Maßnahmen garantiert, sagt Prof. Trinka. Der „Österreichische Strukturplan Gesundheit“ legt die Kriterien für die Strukturqualität der Stroke Units fest und definiert auch erstmals ein interdisziplinäres Expertisezentrum namens „endovaskuläre Neurointervention“. Eines der Ziele für die weitere Verbesserung der Schlaganfallversorgung in Österreich ist es, flächendeckend Zentren zu etablieren, in denen die Thrombektomie rund um die Uhr durchgeführt werden kann. Weiters zeichnet die österreichische Versorgung aus, dass in den letzten 15 Jahren kontinuierlich Qualitätskontrolle betrieben wurde. Verbesserungspotenzial bestehe in der Ausbildung, sagt Prof. Trinka: Jede Ärztin, jeder Arzt müsse Schlaganfallsymptome sofort erkennen können. Auch für die Ausbildung von Allgemeinmedizinern müsse Neurologie zum Pflichtfach werden.
WSO-Präsident Prof. Brainin: Bisher weltgrößter Schlaganfall-Kongress kommt 2020 nach Wien
„Nächstes Jahr wird Wien Welthauptstadt der Schlaganfall-Forschung. Zwischen 12. und 15. Mai 2020 wird hier der bisher größte Kongress zum Thema Schlaganfall stattfinden“, berichtet Univ.-Prof. Dr. Dr. hc mult Michael Brainin (Donau-Universität Krems), Präsident der World Stroke Organisation. „Wien wurde nicht zufällig als Veranstaltungsort der Weltschlaganfallkonferenz ausgewählt: Österreich hat weltweit Vorbildwirkung für die Schlaganfall-Akutversorgung.“
Die European Stroke Organisation (ESO) und die World Stroke Organisation (WSO) organisieren diese Expertentagung erstmals gemeinsam. Sie erwarten rund 7.000 Teilnehmer, darunter führende Schlaganfall-Spezialisten aus aller Welt. „Die Ergebnisse großer neuer Schlaganfall-Studien werden erstmals präsentiert und aktuelle Themen wie die steigende Bedeutung der Thrombektomie oder der Schutz der Nervenzelle werden diskutiert“, so Prof. Brainin. „Einen großen Schwerpunkt bildet auch die Schlaganfallprävention, die global eine dringende Notwendigkeit ist.“ Zusätzlich stehen zahlreiche Themen auf dem Programm, die nicht nur für Schlaganfall-Experten und Wissenschaftler relevant sind, sondern auch für Therapeuten und Pflegekräfte: Für sie gibt es spezielle Kurse und Schulungen.